Die Thronfolgerin

Karl der Kühne von Burgund hat große Pläne mit seiner Tochter Maria. Durch Heirat soll sie das Reich und die Stellung Burgunds gegenüber seinem mächtigsten Gegner, den König von Frankreich, sichern.

Die möglichen Verlobten kommen und gehen, Bündnisse werden geschlossen und wieder gebrochen. Maria ahnt zunächst nichts von der verbissenen Heiratspolitik, die sich hinter ihrem Rücken abspielt. Aber als zwei Bewerber nacheinander offiziell um ihre Hand anhalten und vergiftet werden, wird Maria schmerzhaft bewusst, dass sie in dem Gerangel um Macht und Land nur eine Schachfigur ist…

Leseprobe

Zweiter März im Jahre des Herrn 1468
Louve, Paris

Der Anblick des Herzogs Karl von Guyenne und seiner Mätresse, die sich ganz offensichtlich in dem prunkvollen Bett vergnügten, war abstoßend und faszinierend zugleich.

So wie Gott den Tag und die Nacht erschaffen hatte, so hatte er auch schöne und weniger schöne Menschen erschaffen, dachte der Mörder in der grün-golden gestreiften Livree eines Dieners und starrte gebannt auf das Bild, das sich ihm bot. Der Gedanke an Gott behagte ihm dabei nicht ganz, und er zwang sich, ihn zur Seite zu schieben, was nicht weiter schwierig war, weil die aufsteigende Hitze in seinen Lenden ganz andere Vorstellungen in ihm wachrief.

Über den seidenen Kissen, nur wenige Ellen von ihm entfernt, breitete sich eine Flut rotblonder Locken aus, die bis zu den vollen, weiß schimmernden Brüsten Colette de Chambes reichten. Diese hielt ihre leicht schräg stehenden, grünen Augen geschlossen, und ihrem schönen Mund entrang sich ein Stöhnen, das den dürren, etwas verwachsenen Mann über ihr anzuspornen schien, denn seine Bewegungen wurden schneller. Sein Gesicht mit der spitzen Nase und dem ebenso spitzen Kinn war genauso hässlich wie sein Körper.

Fahle, durchscheinende Haut spannte sich über dünne Kinderknochen, deren Anblick unweigerlich an Krankheit und Tod denken ließ.

Die beiden schienen es eilig gehabt zu haben, ins Bett zu kommen, wie die über den gesamten Boden hinweg verteilten Kleidungstücke bezeugten, und sie hatten sich auch nicht erst die Mühe gemacht, die schweren Brokatvorhänge zuzuziehen, die das Bett umrahmten.

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